Der Politikwissenschaftler Dr. Georg Milde ist seit 2014 Herausgeber des Magazins politik&kommunikation. Zuvor war er ab 2006 in Regierungsbehörden tätig, unter anderem im Bundeskanzleramt als persönlicher Mitarbeiter von Altbundeskanzler Helmut Kohl. Später forschte er zum Entscheidungsverhalten von Spitzenpolitikern sowie zu den Themen Disruption und Veränderungsprozesse. Vor wenigen Wochen erschien sein neues Buch „In Transformationsgewittern: Eine Reise um die Welt zu den Schauplätzen des Umbruchs“.
In k-news verrät Georg Milde, wen er für den Top-Kommunikator unter den deutschen Politikern hält, welche Fehler Public Affairs-Verantwortliche immer noch machen und was Filterblasen für die Kommunikation bedeuten.
Herr Dr. Milde, unter den Politikern in Deutschland – wer gehört zu den Top-Kommunikatoren und warum?
Mir gefallen Politiker, die merklich selbst kommunizieren, statt ihre Accounts nur von ihren Mitarbeitern pflegen zu lassen – Peter Altmaier etwa. Deshalb beobachte ich derzeit interessiert den ohne Ämterlast in seiner Kommunikation befreit aufspielenden Sigmar Gabriel. Auch wenn es seine Parteigenossen häufig seufzen lässt, trägt sein Klartext zu weniger Politikverdrossenheit bei – anders als vieles beflissentliche Geschwurbel um ihn herum. Echtheit wirkt beim Endverbraucher, auch in der Wahlkabine! Ein anderer Aspekt: Robert Habeck hat sich durch seinen Twitter-Ausstieg wegen zweier umstrittener Videos viel Kritik eingehandelt, aber unabhängig davon hat er eine wichtige Frage aufgeworfen: Müssen Spitzenpolitiker wirklich alle Kommunikationskanäle nutzen, auch wenn es häufig nur um ein Kommunizieren um des Kommunizierens Willen geht? Die Welt braucht wahrlich nicht jeden schnoddrigen Schnellschuss auf der Grundlage eines wackeligen Informationsstands, der wiederum ebenso hyperaktive Reaktionen der Konkurrenz auslöst. Wenn Angela Merkel ihren Facebook-Account aufgibt und damit auf über zwei Millionen Direktkontakte verzichtet, ist das ein bemerkenswerter Vorgang. Aber vielleicht ein umso konsequenterer – denn entweder mit voller Kraft oder gar nicht.
Und was machen Public-Affairs-Worker in Unternehmen, Verbänden und Agenturen manchmal falsch?
Auch nach 20 Jahren im Hauptstadtbetrieb wundert es mich immer wieder, wie viele Fehler beim Adressieren und Übermitteln von Botschaften gemacht werden. Geradezu kapitale Fehler! Der Augenblick, in dem man Menschen erreicht, ist nur von ganz kurzer Dauer – nach Sekunden erlischt die Aufnahmebereitschaft, die Aufmerksamkeitsspanne von Entscheidern ist in der Regel gering. Immer wieder stoße ich auf zu umfassende Botschaften, zu ausführliche Argumentationspapiere, zu überbordendes Hintergrundmaterial. Wer soll das in der Realität lesen, sich anhören? Der Public-Affairs-Sender ist von seinem Thema überzeugt, vielleicht sogar begeistert. Der Empfänger hingegen, etwa ein vielbeschäftigter beamteter Staatssekretär, möchte am liebsten in wenigen Sätzen auf den Punkt informiert werden: Wer bist Du? Was willst Du? Was ist Dein zentrales Argument? Was passiert aus Deiner Sicht, wenn wir nicht darauf eingehen? Zeigst Du mir offen Deine parteiische Befangenheit, oder versuchst Du mich hintenrum zu manipulieren? Mehr ist nicht nötig beziehungsweise gewünscht. Viele würden mit einer zweiminütigen, gut vorgetragenen Kernbotschaft viel mehr erreichen als mit schrecklichen daher plänkelnden Terminen, die das Gegenüber aus Höflichkeit nicht zu schnell abkürzen kann und die stattdessen die Distanz in seinem Inneren umso mehr wachsen lassen.
In Ihrem neuen Buch „In Transformationsgewittern“ haben Sie mit zahlreichen Persönlichkeiten gesprochen, was die Transformation der Welt antreibt. Können Sie für uns die wichtigste Botschaft in wenigen Sätzen zusammenfassen?
Nach drei Monaten rund um den Globus – Woche für Woche in einem neuen Land – habe ich Erkenntnisse darüber mitgebracht, was die aktuellen Veränderungen antreibt. Für Kommunikatoren am wichtigsten ist die Rolle der Informationsblasen, in denen weltweit jeder einzelne Mensch lebt, kommuniziert, konsumiert und wählt. Der Begriff der Blase von der Zugehörigkeit zu einer realen sozialen Gruppe bis hin zu den persönlichen Facebook-Freunden existiert ja schon seit Längerem – doch meine Gespräche mit hunderten Menschen am Wegesrand haben mir ihre Rolle noch mehr verdeutlicht. Die Blase lässt sich positiv mit Fokussierung und negativ mit Scheuklappen beschreiben. Erstes dient dem Zurechtfinden in einer Welt im Umbruch, in der jeder Mensch zwischen schwindenden Gewissheiten und neuer Algorithmen-Macht zu taumeln droht. Zweites kann wie ein Narkotikum wirken, das den Einzelnen nur noch reagieren statt agieren lässt – was von Unternehmen oder auch Parteien durchaus genutzt wird, sofern sie die Mechanismen dahinter entziffern können. Womit wir wieder bei Ihrer vorherigen Frage wären: Wie erreiche ich denjenigen, den ich erreichen will, wirklich? In den USA bekam ich zu hören, wie Menschen ihre Facebook-Profile immer weniger verfolgen, weil sie sich von der zunehmenden Polarisierung ihrer Gesellschaft abgestoßen fühlen – man möchte lieber unter seinesgleichen bleiben. In Indien erlebte ich, wie sich viral verbreitender Streit, etwa via WhatsApp, in enormer Geschwindigkeit zu Unruhen, bis hin zu häufig vorkommenden Lynchmobs entfaltet. Und weltweit traf ich Vertreter der „Generation Z“, die mit ihrem Instant-Social-Media-Verhalten von Snapchat bis TikTok ein bestimmtes Image verkörpern: daueronline, ungeduldig, oberflächlich, ohne Durchhaltevermögen. Mit der Zeit bekam ich jedoch immer mehr den Eindruck, dass fernab dieser eher kritischen Perspektive etwas anderes, sehr Spannendes, vor allem Aktiveres entsteht. Das zeigt einmal mehr, dass Kommunikatoren ihre Zielgruppen noch genauer betrachten müssen.
Foto-Credit: Jana Legler
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