Es war der Morgen nach der Europawahl als auf Twitter unter dem Hashtag #AKK eine neue Diskussion eröffnet wurde, die sich in den folgenden Stunden zu einem Kommunikations-Desaster für die CDU entwickeln sollte.
„Niemand will noch so eine lahme knollige Hobbit-Kanzlerin“, postet an diesem Tag der Fake-User „qtez“. Echte und weitere Fake-Accounts stiegen darauf ein und beteiligten sich liebend gern, als es darum ging, die Verlierer der Wahl zu kreuzigen.
Die Suche nach einem auch nur neutralen CDU-Post blieb vergebens. Ebenso unsichtbar: ein professionelles politisches Social Media Management der CDU. Die Folgen waren verheerend – am nächsten Tag beteiligten sich bereits zigtausende Twitter-User unter dem Hashtag #annegate und #AKKRuecktritt am Abgesang auf die neue CDU-Chefin.
Zum gleichen Zeitpunkt tauchten auf dem Twitter-Kanal von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer zum Ausgang der Europawahl einige Text-Nachrichten und Retweets der Partei auf, keine interaktive Stellungnahme, kein audiovisuelles Statement (ausgenommen eines trockenen Pressekonferenz-Mitschnitts). Ihr Dank an alle Landesverbände, Wähler, Wahlhelfer und an die Jungen – über den Kanal der Union – erhielt in den ersten Stunden spärliche 10 Likes und 4 verhaltene Retweets. Noch schlimmer wurde es am Tag darauf, als außer Wirtschaftsminister Peter Altmaier und gerade einmal drei anderen Usern zunächst niemand AKKs Verteidigungspost liken wollte, mit dem sie ihre unglücklichen Äußerungen über Meinungsmache im Netz wieder geraderücken wollte.
Anders agierte Sebastian Kurz in Österreich: Kurz veröffentlichte auf Twitter ein Video mit Dankesgrüßen an seine Wähler, das in nur kurzer Zeit 1.118-mal geliked, 160-mal retweetet und 30.000-mal angesehen wurde. Das verhinderte zwar nicht, dass er kurze Zeit später durch ein Misstrauensvotum als Kanzler gestürzt wurde, zeigt aber, wie man einen Dank an die Wähler und Wahlhelfer so gestalten kann, dass dieser auch Likes bekommt.
Die Grünen bedankten sich mit einem gut gelaunten Teamfoto bei ihren Wählern und Wahlkämpfer*innen für das „Hammer-Ergebnis“. Die Folge: 605 Retweets und 6.700 Likes innerhalb kürzester Zeit.
Der unterschiedliche Umgang der Parteien mit den digitalen Kanälen ist ebenso offenkundig wie die Ratlosigkeit im Umgang mit Angriffen im Netz. Es scheint so, als wären fast alle etwas verwirrt in Hinblick auf die neue Dimension „Social Media“, die sie auffordert, ihre eingestaubte Kommunikations-Komfortzone zu verlassen und neu zu denken. Eine Dimension, die nicht steuerbar scheint – mit einem Kommunikationstool, dessen Bestückung mit Inhalten unmittelbare Konsequenzen nach sich ziehen kann und die kein Garant ist, wenn es darum geht, Wähler zu halten und vor allem neue zu gewinnen.
Wenn die Politik nicht lernt, sich in der Netzwelt richtig zu vernetzen, wird die digitale Generation sie verschlingen. Die Lösung liegt in einem professionellen Social-Media-Management. Dabei geht es um Reaktionsgeschwindigkeit und vor allem um Substanz. Die (jungen) Wähler geben sich eben nicht zufrieden mit Worthülsen. Sie fordern eine Politik mit klaren Zielen und wollen ernst genommen werden. Sie fordern die Übersetzung von Inhalten auf die Dialektik des Zeitgeists – sie fordern das Erlernen ihrer Sprache.
Die Grünen versuchen es zumindest – und das kommt offenbar an, wenn man sich die Reaktionen im Netz und die jüngsten Wahlergebnisse anschaut. Die Europawahl zeigt klar und deutlich: Ein Wahlerfolg hängt maßgeblich von der Fähigkeit ab, Kommunikation über alle Kanäle hinweg zu managen.
In internationalen Unternehmen ist das bereits Standard. Es sollte nur eine Frage der Zeit sein, wann die Volksparteien in die Vernetzung mit der Netzwelt mehr investieren. Sprich, sich Menschen an ihre Seite holen, die politisch denken und auch das Handwerk der Kommunikation in digitalen Kanälen beherrschen. Hoffentlich passiert das, bevor die Social Media-Dimension durch eine andere abgelöst wird, mit der die großen Parteien dann wieder überfordert sind. (ag/vk)
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