Spannende Zeiten für die Politikberatung: Die europäische Parteienlandschaft wurde von Bewegungen wie der französischen La République en Marche oder dem italienischen MoVimento 5 Stelle umgepflügt. Und in Deutschland? 1980 waren es die Grünen, die mit der Anti-Atomkraft-Haltung ein Thema adressierten, das keine andere Partei in dieser Klarheit ansprechen konnte oder wollte. Und zuletzt nutzte die AfD die Flüchtlingswelle 2015, um einen neuen Nationalismus zu propagieren – seit 2017 sitzt sie nun im Deutschen Bundestag. Neueste Entwicklung hierzulande: Sarah Wagenknecht will mit ihrer linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“ das Bild noch ein bisschen bunter machen.
Ist auf Bundesebene überhaupt Platz für noch eine weitere Partei?
Die vier Türme des Bundestagsgebäudes, in denen traditionell die Fraktionssitzungen stattfinden, reichen jetzt schon nicht für alle im Bundestag vertretenen Parteien aus. Ist also auf absehbare Zeit überhaupt noch Platz für weitere Parteien im Deutschen Bundestag und worauf kommt es an, wenn man es schaffen will?
Kompetenz und Glaubwürdigkeit – darum geht es!
Will eine neue Partei Erfolg haben, dann muss sie den Zeitgeist widerspiegeln. Und sie braucht langfristig ein Thema, das so noch keiner hat – oder das so noch keiner glaubwürdig bespielt. Antworten auf die Fragen der Wähler fehlen bei vielen Zukunftsthemen. Wie gestalten wir die Digitalisierung gesamtgesellschaftlich und welche Jobs fallen ihr zum Opfer? Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus und wie können Familie und Beruf wirklich miteinander vereinbart werden? Hier wäre noch Platz für eine neue Problemlösungspartei.
Im Blick der Politikberatung: Das Erfolgsgeheimnis neuer Parteien
Bestes Beispiel für eine erfolgreiche Neugründung im europäischen Kontext: La République en Marche, die Bewegung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Das französische Parteiensystem von heute hat mit dem von 2015 nur mehr wenig zu tun. Die sozialistische Partei, die von 2012 bis 2017 den Präsidenten stellte, ist marginalisiert. Was hat Macron richtig gemacht? Für welche Probleme bot er 2015 seinen Wählern Lösungen an? Hier ein kurzer Überblick. Wirtschaft und Arbeitsmarkt: Macron versprach den Franzosen glaubhaft, die stotternde und überregulierte Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Front National und Europa: Macron bekannte sich klar zu den Chancen der europäischen Integration. Er führte einen pro-europäischen Wahlkampf und grenzte sich so von der rechtsextremen Kandidatin Marine Le Pen ab. Politikverdruss: Macron bot sich den Wählern als echte Alternative an, er gab der fast schon depressiv wirkenden, französischen Gesellschaften neuen Mut und riss die Menschen mit.
Langfristiger Erfolg? Nur mit gutem Personal
Sich etabliert, ins Parlament eingezogen, vielleicht sogar Regierungskompetenz erlangt: Und was passiert dann? Auch hier lohnt sich der Blick nach Frankreich, denn dort kann man diesem Experiment gerade live zusehen. Emmanuel Macron hat vieles richtig gemacht – coolen Markenkern geschaffen und frische, motivierte Leute in seine Bewegung integriert – aber kann er halten, was er versprochen hat? Das ist aus Sicht der Politikberatung ein weiterer wichtiger Punkt. Schafft es eine Partei nicht auf Dauer wirkliche Problemlösungskompetenz an den Tag zu legen, wird sie es schwer haben, sowohl in der Regierung, aber auf lange Sicht auch in der Opposition.
Und wer hebt bei uns das Wählerpotenzial?
Zurück nach Deutschland – hier gilt: Die Wähler sind offen für neue Parteien, Bewegungen, Ideen. Das hat erst im Mai eine FORSA-Umfrage bestätigt. So können sich 57 Prozent der Deutschen vorstellen, einer Partei à la Macron, die sich in der politischen Mitte verortet, ihre Stimme zu geben. Nur wer wird dieses Potenzial heben? Auch für die Politikberatung keine einfache Frage. Die Aufstehen-Bewegung von Sarah Wagenknecht ist bisher verpufft und die AfD hat kein Wählerpotenzial, das sie zu einer gesamtdeutschen Volkspartei machen könnte – nur 20 Prozent aller Deutschen können sich vorstellen, dieser Partei ihre Stimme zu geben.
Hat die CDU das Potenzial dazu? Nach der Ankündigung Angela Merkels, nach 18 Jahren den Parteivorsitz abzugeben, bewegt sich etwas. Der innerparteiliche Konkurrenzkampf zwischen Jens Spahn, Friedrich Merz und Annegret-Kramp-Karrenbauer belebt die Partei und schürt die Debatte um die zukünftige Ausrichtung der Partei. Jeder der Kandidaten hat eine eigene Vision davon, welche inhaltliche Schwerpunkte die CDU setzen sollte. Es ist gut vorstellbar, dass beispielsweise Friedrich Merz oder Annegret Kramp-Karrenbauer genug frischen Wind in die Partei bringen, um die CDU in gewisser Weise neu zu erfinden, ihr in den Augen der Wähler wieder Problemlösungskompetenz und einen neuen Markenkern zu verschaffen – und die Partei somit gesamtgesellschaftlich wieder breiter zu verankern.
Recent Comments